Kasbahs, Wüste und Oasen
#1
Eine Reise durch den Südosten Marokkos gleicht einer Reise durch eine Märchenwelt. Leuchtend grüne Oasen finden sich mitten in malerischen Wüstenregionen und dazwischen: Immer wieder Lehmburgen.
 
[Bild: Kasbahs_Wueste_und_Oasen.05.jpg]

Groß und mächtig stehen sie da, die Kasbahs des Südens. Schon von weitem sieht man sie aus dem Grün der Oasen herausragen, es ist, als wären sie ein Teil der Gärten, an deren Ränder sie stehen. Und ganz ehrlich? Das sind sie auch. Denn diese alten prächtigen Burgen, eben sogenannte Kasbahs, werden aus dem gebaut, was sie umgibt: Lehm. Das ist nicht nur ungemein praktisch, da das Baumaterial sozusagen direkt vor der Haustüre liegt, sondern auch günstig. Das Beste an den herrlichen Burgen aber ist, dass sie wie ein modernes Passiv-Haus funktionieren: Im Winter sind sie nie zu kalt und im Sommer sind sie angenehm frisch. Grund hierfür sind nicht nur die wenigen Fenster, die bei klassischen Kasbahs grundsätzlich auch nur in den Innenhof gehen, sondern auch die bis zu einem Meter dicken Mauern aus Stampflehm, die jeden Temperaturaustausch unmöglich machen.

Kurz vor dem Aus

Dabei drohten sie vor rund 30 Jahren komplett zu verschwinden. Denn Lehm ist kein belastbares Baumaterial: Ein lang andauernder Regen, heftige Stürme oder eine zu früh oder zu stark einsetzende Schneeschmelze aus dem Hohen Atlas: Und die schönen Häuser aus Lehm sind dahin. Da schien Beton doch viel stabiler- und schicker, da moderner, war es auch. Doch Gott sei Dank kam es nie soweit. Denn zum Einen erkannte der Staat, dass das kulturelle Erbe des Südens mit dem Verfall der alten Kasbahs zerstört würde, zum anderen begann man das touristische Potential der Lehmhäuser zu entdecken. Und so wurden mehr und mehr der alten Burgen restauriert und erneuert, zum Teil mit Beton verstärkt, doch immer so, dass man ihn nicht von Außen sah. Als klar wurde, WIE sehr Touristen diese alten Burgen liebten, begann man auch neue Kasbahs zu bauen – im Stil der alten natürlich, aber mit Methoden der Moderne: Stahlbetonpfeiler statt Akazienstämme, Betondecken statt Schilfteppiche, Außenfenster statt einer reinen Ausrichtung nach Innen. Das praktische an diesen modernen Kasbahs war, dass man die Räume größer machen konnte als bisher, oder besser gesagt, breiter. Denn konnten Räume bis dahin kaum mehr Breite als 2 Meter haben (da die Holzstämme, Dattelholz und Akazie) nicht mehr Last tragen konnten, sind heute in den Burgen Zimmer wie in modernen Bauten möglich. Ideal für eine touristische Nutzung.

Oasen als Lebensquellen

Kasbahs oder Ksour (sing. Ksar), wie die befestigten Lehmdörfer heißen, stehen immer am Rande von Oasen. Selten darin. Denn der wenige Platz, der problemlos bewässert werden kann, dient dem Obst- und Gemüseanbau. Wasser ist Leben. Das gilt auch bei uns. Doch in der Wüste wird einem diese einfache Wahrheit noch einmal sehr viel schneller klar. Denn ohne Wasser gibt es keine Nahrung. So sind Oasen nicht einfach nur schön anzuschauende Orte, die sich aus dem Ocker der Wüste saftig grün erheben, sondern der Lebensraum der Wüstenbewohner. Über ausgeklügelte Kanal- und Wassersysteme wird Wasser in die Gärten geleitet. Und damit niemand der Bewohner einer Oase zu wenig Wasser bekommt, wacht der Wasserwächter über alles. Ein Stock in die Erde gesteckt zeigt durch seinen Schatten auf der Wasseruhr an, wie lange Wasser durch welchen Kanal strömt. Wasser ist hier so wichtig wie das Land an sich. In Oasen gilt Besitz von Erde nicht mehr als Besitz von Wasser. Und so kann der eine dem anderen das andere verkaufen. Überhaupt hat in den Oasen alles eine andere Wertigkeit. Man unterscheidet zwischen fünf wesentlichen Elementen: Dem Land, der Saat, der Arbeitskraft, dem Arbeitsgerät und Wasser. Je mehr ein einzelner stellen kann, desto höher ist sein Anteil an der Ernte. Reich ist, wer mindestens über vier der fünf Elemente verfügt, denn er bekommt 4/5 der Ernte, auch wenn er sein Feld selbst nie bearbeitet.

Feldbau und Tourismus – eine win-win-Situation

Heute leben die meisten der Oasenbewohner vom Feldbau und/oder dem Tourismus. Meistens geht beides miteinander einher. Wohnen in einer Kasbah garantiert echtes 1001 Gefühl, die Gärten eignen sich für die Gäste wunderbar zum Spazieren und die Kulisse der Berge im Hintergrund könnte schöner kaum sein. Gäste konsumieren die Produkte der Gärten der Bewohner vor Ort, wenn sie am Abend in ihren Hotels zu Abend essen und kaufen im günstigsten Fall auch noch in dem kleinen Souvenirshop des Hauptortes ein paar schöne Mitbringsel. So erhalten sie mit ihrem Geld die alte Architektur des Südens und beugen der Landflucht vor. Sie selbst erleben dafür ganz besondere Tage. Das Leben in einer Kasbah, die Gastfreundschaft der Bewohner und die Schönheit Marokkos in ihrer ganzen Vielfalt. So profitieren am Ende beide Seiten – und genau so sollte Tourismus auch funktionieren.

Mehr zu Kasbahs und Ksour, zum Oasenleben und Tourismus entlang der Straße der Kasbahs und weiter im Süden finden Sie in meinen Büchern "KulturSchock Marokko, Reise Know-How" und "Stefan Loose Travel Handbuch Marokko, Mairdumont"

Quelle: https://marokko.com/reisen/kasbahs-wueste-und-oasen
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#2
Heart 
Guten Morgen, @ maghribi,

oh, das ist die Gegend, wo ich damals mein Herz verlor - an und in Marokko Heart
Wunderbar, dass ich diesen Post hier finde. 

Und sind Sie einer der Autoren von „Kulturschock Marokko“ bzw. „Reise know-how?“
Beides stehen als Standardwerke in meinem Bücherregal. 

Grüße,

bulbulla
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#3
(20.02.2021, 08:34)bulbulla schrieb: Und sind Sie einer der Autoren von „Kulturschock Marokko“ bzw. „Reise know-how?“
Beides stehen als Standardwerke in meinem Bücherregal. 

Nein, bin ich nicht! Besitze ebenfalls die Bücher von Muriel Brunswig. Den Artikel fand ich lesenswert, deshalb habe ich den kurzerhand hierreingestellt!
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#4
Hallo Maghribi,

vielen Dank für deinen Artikel.
Da ich in den vergangenen Jahren oft diese Gegend besuchen musste (Lagerstätten), muss ich leider feststellen, dass das Verschwinden der Kasbahs sich ungehemmt fortsetzt. Klar, einige wenige werden aus touristischen Gründen restauriert (meist an Hauptverkehrsstraßen gelegen), die meisten etwas abgelegeneren sind Lehmhügel. Kaum ein Eigentümer hat die Mittel, Zeit und Lust, seine Kasbah zu restaurieren. Wofür? Von den kitschigen "Nachbauten" schweigt des Sängers Höflichkeit. Sie erinnern einen Europäer unwillkürlich an die "neogotischen" Bauten (Kirchen, Paläste, Häuser), die in der 2. Hälfte des 19.Jhdts stark in Mode waren. Heute werden die meist kommentarlos links liegen gelassen.
An der Landflucht aus dieser Gegend wird auch der Tourismus nicht viel ändern. Die landwirtschaftlich/touristischen Möglichkeiten (anbaufähiges Land, Wasser, Infrastruktur) sind überschaubar, werden in Zukunft möglicherweise noch knapper, die Menschen werden älter, Arbeit für die Kinder sind und bleiben sehr begrenzt. Also, die hauen ab! Da müssten zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden, was nicht geschieht.
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#5
Hallo Otto,

da hast du in einem Punkt leider Recht. Es verfallen immer noch viel zu viele und gerade jetzt, wo der  Tourismus gen Null tendiert kommt das noch viel stärker zum Tragen.
Allerdings denke ich - und das wollte ich mit meinem Artikel auch absolut nicht zum Ausdruck bringen, dass man ja auch nicht alle Kasbahs retten kann oder soll. Aber wärst du Ende der 90er und in den frühen 2000er gereist, dann hättest du wirklich Angst gehabt, dass bald gar keine Kasbah mehr steht. Da wurde gar nichts restauriert, auch nicht für den Tourismus. Dieses Bewusstsein um das kulturelle Erbe der Lehmbauarchitektur kam erst um die Jahrtausendewende. Da entstanden überall im Süden plötzlich auch staatliche Institutionen und Associations zum Schutz der Kasbahs und Ksour, wie  z.B. die Cerkas, mit der ich ein paar Jahre viel und engen Kontakt hatte - eben wegen derartiger Revitalisierungsprojekte. Insofern empfinde ich es als großen Gewinn und sehe mit Freude, dass überhaupt noch Kasbahs restauriert werden - auch 20 Jahre nach der Trendwende - und wenn es zu touristischen Zwecken ist, dann ist das für mich eine win-win Stuation.
Und dann muss ich noch eine Lanze brechen für die "neuen Kasbahs". Natürlich gibt es da ganz schrecklich hässliche, aber es gibt auch einige, gerade in den Tälern, die sind neu und du könntest sie von Außen kaum von einer alten unterscheiden. Es gibt sehr schöne alte Kasbahs, die zum Teil auch neu aufgebaut wurden, aber mit Stahlbeton oder Betonträgern versehen wurden, damit sie eben stabiler sind. Dass derweiil dennoch alte verschwinden ist dem Laufe der Zeit geschuldet. Auch bei uns behält man nicht jedes alte Haus und viele müssen eben Platz machen für Neubauten. Das ist hier wie dort so.  Viele Grüße!


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#6
Hallo Muriel,
im Prinzip: kein Widerspruch. Natürlich können nicht alle Kasbahs erhalten werden, das ist der Lauf der Zeit. Aber: ein entscheidendes Stichwort hast du schon gebracht: Revitalisierungsprojekte. Die Restaurierung einer Kasbah für touristische Zwecke ist eine Revitalisierung. Der ursprüngliche Zweck der Kasbah geht dabei jedoch verloren.
Ich wohne im "finstersten Niedersachsen" auf dem Lande. Dort gab/gibt es viele Kleinbauern, die ihren Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben. Das Brauchland wird verkauft, das alte Fachwerkhaus steht da noch mit Garten, etwas heruntergekommen, nutzlos. Seit einiger Zeit gehen diese Bauten ab wie "warme Brötchen", gekauft zu nicht üppigen Preisen von wohlhabenden Bürger, die auf dem Lande wohnen wollen oder ein "schickes" Ferienhaus brauchen. Das passiert auch in Italien, Spanien, Portugal.
Wie wäre es, diese Associations bemühten sich um eine ähnliche Kundschaft? Gewährleistet müsste doch nur die Grundinfrastruktur sein (Wasser, Strom, brauchbarer Zugang). Alles weitere wird dan von den Käufern geregelt.
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#7
Hallo Muriel,

es freut mich, Dich hier wieder zu treffen!!!



@Otto,

ein Problem bei der Realisierung Deines Gedanken dürften die ungeklärten Besitzverhältnisse der Kasbahs sein.
Früher lebten Großfamilien darin.
Heute leben Teile dieser Familien oft weit weit vom Ursprungsort.
Wenn sie merken, dass sich mit ihrer Kasbah, um die sie sich seit Generationen nicht gekümmert haben, Geld zu verdienen ist, werden sie umgehend auf den Plan gerufen und wollen ihre Ansprüche gegenüber den Familienmitgliedern geltend machen, die vielleicht noch vor einigen Jahren die kasbah in Schuss gehalten haben.
Das wird zu Streit und evt. zu der Verweigerung der Unterschrift zum Verkauf der Kasbah führen.............
Einen Grundbucheintrag, so wie ihn der europ. Käufer gerne hätte um Rechtssicherheiten zu haben gibt es auch nicht.
Mit besten Grüßen aus Errachidia,

Thomas



In Marokko ist alles möglich nur nichts schnell.
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#8
Hallo Thomas, ja ich freue mich auch!!
Hallo Otto, hinzu kommt noch ein weiterer Punkt, außer dem von Thomas genannten: Während es in Deutschland schick ist, sich einen alten Hof zu kaufen, ist es das in Marokko absolut nicht. Du kannst die deutsche Mentalität, die einen Hang zum Romantisieren hat - und dazu gehört meines Erachtens auch der Kauf alter Höfe - nicht einfach auf Marokko übertragen. In Marokko gilt es in der Oberschicht nach wie vor absolut nicht als schick, eine alte Kasbah zu besitzen. Da können die Associations machen, was sie wollen. Sie können sich nur um eine Kundschaft bemühen, die den Wert der alten Lehmbauten auch erkennt und das sind seit Jahrzehnten nun mal eher die Europäer sowie Einheimische vor Ort, die sehen: Oha! Offensichtlich kann man mit den alten Lehmdingern Geld machen. Also wir haben doch auch noch so ein Haus, lass uns was draus machen!
Die allerwenigsten finden die alten Kasbahs wirklich attraktiv. Obwohl es naetürlich auch die gibt. Aber das Gros der Marokkaner will heute was Modernes. Nach wie vor. Das ist nicht wie bei uns. Bei uns ist der Trend aufs Land. in Marokko nach wie vor herrscht Landflucht. Also: Äpfel und Birnen sind nicht vergleichbar, auch wenn dein Grundgedanke selbstverständlich ein guter ist. Nur eben nicht gemacht für dieses Land, da zu Deutsch oder, da du auch Italien, Spanien und Portugal ins Spiel bringst: Zu Europaisch.
Viele Grüße!

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