Marokko-Erfahren erneut auf Entdeckungsreise in Marokko
#52
Im Frauengemach

Feiern jeglicher Art finden in Marokko grundsätzlich getrennt statt. Lediglich Musik und Tanz werden gemeinsam gestaltet, danach ziehen sich Männer und Frauen in ihre eigenen Räume zurück. Eine Ausnahme wird bei Ausländern gemacht. So durfte ich bei einem Moussem im vergangenen Jahr als einzige Frau zwischen lauter Männern sitzen.

Eingeladen hatte uns diesmal Hāddsch Lahcen, Bürgermeister von Tanalt. In einem kleinen Dorf weit unterhalb von Tanalt wurde der Geburtstag des Propheten ganz groß gefeiert. Am Vorabend musizierte man dort bereits gemeinsam, gern wären wir auch dabei gewesen, scheuen uns aber nach wie vor, in der Dunkelheit Auto zu fahren.

Also tauchen wir in Begleitung von Samir und Said am nächsten Vormittag auf. Hāddsch, der unsere Leidenschaft für die Umgebung kennt, empfiehlt einen Spaziergang zu einer heißen Quelle. Wir bekommen eine Stunde "Ausgang", bevor wir zum Lunch zurück sein sollen. Zielstrebig führt Said uns begab, im Tal erkennen wir Wasserbecken von üppigem Grün umgeben. An mehreren Stellen sickert warmes Wasser aus dem Boden, wird in einem Speicherhaus gesammelt. Ist das Becken voll, strömt auf der Rückseite des Gebäudes aus zwei Rohren das Wasser heraus, hier kann man eine warme Dusche nehmen! Darauf verzichten wir diesmal, steigen wieder aufwärts, um pünktlich bei Hāddsch zu sein.

Beim Eintreten in sein Haus werde ich gefragt, ob ich mich zu den Männern oder zu den Frauen gesellen möchte. Welche Frage! Man führt mich in einen Raum, in dem acht Frauen, in Festtagsgewänder gehüllt um einen üppig gedeckten Tisch sitzen und schnattern. Freudig rücken sie zusammen, machen mir Platz und umgehend stehen Brot, Amlou und Honig vor mir.
Begeistert registrieren sie, dass ich Datteln gern esse. Ein Glas marokkanischer Sekt (Cola) wird vor mich hingestellt. Auch die Platte mit mehreren gebratenen Hühnchen rückt näher zu mir. Als ich den angebotenen Teller nebst Besteck ablehne und meine, dass ich wie ein Marokkaner mit der Hand essen kann, sind sie restlos aus dem Häuschen. Trotz all der Leckereien und meinem knurrenden Magen komme ich kaum zum Essen. Neben mir sitzt eine Frau, die französisch spricht. Sie übersetzt mir die Fragen der Frauen und übermittelt meine Antworten. Es wird viel gelacht, als eine mein Shirt prüft und erklärt, dass sie mit mir tauschen möchte.
Die Stimmung steigt auf den Höhepunkt, als ich erzähle, dass ich zu Hause nur mit dem Fahrrad unterwegs bin. Da bekommt eine Frau so einen Lachanfall, dass sie sich kaum beruhigen kann.
Nun werde ich gefragt, ob ich mich für ein Foto in traditionelle Gewänder kleiden lassen möchte. Notgedrungen stimme ich zu, will kein Spaßverderber sein. Sie führen mich in ein luxuriös eingerichtetes Schlafzimmer mit üppigem Ankleideraum. Flugs holen die Frauen ein rotes Kleid mit Stickerei und einen langen schwarzen Rock hervor. Während ich mich in die Sachen zwänge (bereits da tritt mir der Schweiß auf die Stirn...), liegen ein Tuch für meine Haare, eine üppige Kette und Armreifen bereit. Alle Haare werden sorgsam unter dem Tuch verborgen, sie biegen mir eine Krone zurecht und drapieren schließlich einen weißen Schleier über meinem Kopf. Selbst in bestickte Pantoffeln, die FAST meine richtige Größe haben, zwänge ich mich. Jetzt werde ich den Frauen vorgeführt, ernte Applaus, fühle mich selber aber behäbig und unwohl.

   

Zur Fotosession werde ich vor die Tür geführt, Andreas wird gerufen, darf seine verkleidete Frau fotografieren und sich dann wieder zu den Männern zurückziehen.

Dann wird mir der Schleier komplett vor das Gesicht gezogen, meine Begleiterin möchte mich jemandem als "Überraschungsbesuch" präsentieren. Ich stolpere in meinen zu kleinen Pantoffeln und dem engen Rock schwitzend hinter ihr her. Sie öffnet eine Tür, spricht mit jemandem, ich sehe nichts. Dann zieht sie mir den Schleier vom Gesicht und stellt mich lachend ihrer Mutter vor. Nun muss ich auf eine Dachterrasse, zahlreiche Frauen kommen mit Handys hinzu, schieben mich hierhin und dorthin, um mich vor dem besten Hintergrund zu fotografieren. Tapfer lächele ich weiter, obwohl meine Geduld langsam zu Ende ist.
Wieder im Haus wird mir die Tür zu einem weiteren Salon geöffnet, ich überschlage, dass mich etwa zwanzig Augenpaare fixieren. Artig winke ich hinein, lehne jedoch eine Einladung zum Couscous ab und bitte darum, wieder meinem Mann "zugeführt" zu werden. Dem Wunsch kommt meine Begleiterin nach, hilft mir beim Entkleiden, lässt sich noch meine Mail-Adresse geben, um mir Fotos zu schicken (inschallah...) und verabschiedet sich freundlich.

Ich betone, wie gut es mir gefallen hat und betrete scheu den Männerraum. Hier ruhen nicht nur wohlwollende Blicke auf mir, ich werde aber als Gast von Hāddsch toleriert. Nachdem Tee und Kekse angeboten werden, brechen wir mit Samir und Said wieder Richtung Tanalt auf. Hāddsch folgt uns mit seinem Auto, zeigt uns auf halber Höhe nach Tanalt noch Felsgravuren, die uns interessieren.

Wieder in Tanalt verabschieden wir uns von unseren Begleitern, bedanken uns für den erlebnisreichen Tag und fahren erschöpft nach Tafraoute zurück.
Ausflüge mit Marokkanern laufen immer anders, als geplant - nein planen kann man sie gar nicht, sich einfach auf das einlassen, was kommt, ist der beste Weg!
Barbara & Andreas
marokko-erfahren.de
marokko-erfahren ist eine unabhängige europaweite Privatinitiative zur Förderung von Beschäftigung und Kulturerhalt.
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RE: Marokko-Erfahren erneut auf Entdeckungsreise in Marokko - von marokko erfahren - 21.10.2022, 18:02

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