15.11.2022, 14:05
Tanast in Taourirt?
Im Wassermuseum in Marrakech fotografieren wir das Bild einer Tanast - "Wasseruhr", die es in Taourirt, in der Oase Akka geben soll. Will es der Zufall, wir machen einige Tage Station in Akka, suchen am Nachmittag das nahe gelegene Dorf Taourirt auf.
Bewaffnet mit dem Foto auf unserem Tablet steuern wir auf einige ältere Männer zu, zeigen es ihnen. Sie beugen sich interessiert darüber und diskutieren. Wir lassen den Begriff Tanast fallen, da schütteln sie ratlos den Kopf. Neugierig beäugt von einer großen Kinderschar warten wir, während ein Ladenbesitzer offensichtlich einen Wissenden herbeitelefoniert. Ich bekomme mit, wie er zu den Kindern sagt: hier scheint es ja interessanter für euch zu sein, als vor dem Fernseher zu sitzen! Verlegenes Kichern der Kleinen....
In weißer Djellabah nähert sich jemand, wirft einen Blick auf das Foto, zeigt auf das an der anderen Seite der Oase liegende Dorf und bekräftigt: in Agadir Ouzrou ist die Aufnahme entstanden, er kennt sich aus. Nun versuchen wir ihm klar zu machen, dass die Bewohner in Agadir Ouzrou mit einer Sonnenuhr zur Bemessung der Bewässerungszeiten gearbeitet haben. Zwei verschiedene Systeme in einem Dorf können wir uns nicht vorstellen. Er bleibt bei seiner Meinung, wir fahren ergebnislos ab.
Mehdi, ein junger, engagierter und historisch sehr interessierter Marokkaner, der uns gern in der Unterkunft besucht, hört von unserem vergeblichen Versuch, möchte am nächsten Tag mit uns auf Suche gehen. Gemeinsam steuern wir wieder Taourirt an, einige Männer schmunzeln bei unserem erneuten Auftauchen. Nach kurzer Diskussion bestätigt Mehdi die uns am Vortag gegebene Auskunft, telefoniert mit dem Amghar (Ortsvorsteher) von Agadir Ouzrou, der uns helfen will. Wir werden bei unserer Ankunft bereits erwartet, nach der landesüblich ausgedehnten Begrüßung begeben wir uns zum restaurierten Eingangsportal des alten Dorfes. Neidisch beobachte ich, wie eine knappe Handbewegung des Amghars in Richtung einiger neugierig herumstrolchender Kinder reicht, damit diese sich verziehen. Wie sehr wünschen auch wir uns manchmal solchen Respekt...
Ein älterer Mann mit zwei Kupferschalen in der Hand nähert sich - es ist der Verantwortliche der Tanast, der extra gekommen ist, um sie uns vorzuführen. Sorgsam positioniert er die größere der beiden Schalen im Eingangsportal auf einer gemauerten Sitzbank, während der Amghar wie von Zauberhand einen Kanister mit Wasser organisiert. Das Wasser wird in die Schale gefüllt, der Mann gibt ein Zeichen, dass sie ausreichend gefüllt sei. Vorsichtig setzt er nun die kleinere Kupferschale (in der Größe einer Suppenschale) auf das Wasser. Diese Schale - Tanast genannt - hat unten ein kleines Loch, füllt sich also allmählich mit Wasser. In diesem Fall dauert es zehn Minuten ( es gibt auch Tanast, die 30, 45 oder 60 Minuten brauchen), dann geht sie klappernd unter, das Signal für den Wasserwärter die Wasserzufuhr zu den einzelnen Oasenparzellen zu verändern.
Mit verschmitztem Lächeln erhalten wir noch eine weitere Information. Da die Kupferschalen auf Temperatur reagieren, braucht die Tanast im Sommer 10 Minuten, im Winter dagegen 12 Minuten, bis sie untergeht. Wollte man allerdings eine Familie "ärgern", ihr die zustehende Wasserzufuhr verknappen, erhitzte man in der kühleren Jahreszeit eine Tanast gern einmal...
Noch immer hatte sich unsere Frage aber nicht geklärt, warum ein Dorf mit zwei Messsystem arbeitet.
Logische Antwort: die Tanast würde bei bewölktem Himmel und in der Nacht eingesetzt. In der ehemals reichen Oasenwirtschaft war es also notwendig, rund um die Uhr alle Gärten mit der festgelegten Wassermenge zu versorgen. Eigentlich schade, dass diesen Job heute die Wasserpumpen übernommen haben, die in unseren Augen ganz sicher keinen Ersatz für die bis ins Detail ausgeklügelte Zeitmessung einer Tanast sind. Denn dass die Zeit exakt war, konnten wir bei dem Verantwortlichen der Tanast beobachten. Zur Kontrolle schaute er nämlich abwechselnd auf sein Smartphone und seine Digitaluhr. Zufrieden registrierte er, dass die Schale punktgenau unterging!
Der Gemeinschaftscharakter ist natürlich nicht durch eine Uhr ersetzbar, denn der Ort der Tanast ist immer ein Platz gewesen, an dem sich die Männer gern zum Unterhalten trafen. Und das Klappern der Tanast war selbst bei intensiven Gesprächen nicht zu überhören.
Nach dieser Vorführung wird mit dem Wasser aus der größeren Schale sorgsam eine Anpflanzung gewässert, dann packt der Verantwortliche sein Material zusammen, ziert sich etwas, als wir ihm zum Dank einen Schein in die Tasche seiner Djellabah schieben und geht seiner Wege.
Der Amghar lädt uns noch zu einem Rundgang durch das teilweise restaurierte Dorf ein. Dankbar nehmen wir an, waren zwar schon vier Jahre zuvor allein durchgestromert, allerdings ohne zusätzliche Erklärungen zu bekommen. Diese Runde war informativ für uns, wir genießen es jedesmal, wenn Einheimische vertraut mit der Vergangenheit ihrer Heimat sind und ihr Wissen an uns weitergeben.
Im Wassermuseum in Marrakech fotografieren wir das Bild einer Tanast - "Wasseruhr", die es in Taourirt, in der Oase Akka geben soll. Will es der Zufall, wir machen einige Tage Station in Akka, suchen am Nachmittag das nahe gelegene Dorf Taourirt auf.
Bewaffnet mit dem Foto auf unserem Tablet steuern wir auf einige ältere Männer zu, zeigen es ihnen. Sie beugen sich interessiert darüber und diskutieren. Wir lassen den Begriff Tanast fallen, da schütteln sie ratlos den Kopf. Neugierig beäugt von einer großen Kinderschar warten wir, während ein Ladenbesitzer offensichtlich einen Wissenden herbeitelefoniert. Ich bekomme mit, wie er zu den Kindern sagt: hier scheint es ja interessanter für euch zu sein, als vor dem Fernseher zu sitzen! Verlegenes Kichern der Kleinen....
In weißer Djellabah nähert sich jemand, wirft einen Blick auf das Foto, zeigt auf das an der anderen Seite der Oase liegende Dorf und bekräftigt: in Agadir Ouzrou ist die Aufnahme entstanden, er kennt sich aus. Nun versuchen wir ihm klar zu machen, dass die Bewohner in Agadir Ouzrou mit einer Sonnenuhr zur Bemessung der Bewässerungszeiten gearbeitet haben. Zwei verschiedene Systeme in einem Dorf können wir uns nicht vorstellen. Er bleibt bei seiner Meinung, wir fahren ergebnislos ab.
Mehdi, ein junger, engagierter und historisch sehr interessierter Marokkaner, der uns gern in der Unterkunft besucht, hört von unserem vergeblichen Versuch, möchte am nächsten Tag mit uns auf Suche gehen. Gemeinsam steuern wir wieder Taourirt an, einige Männer schmunzeln bei unserem erneuten Auftauchen. Nach kurzer Diskussion bestätigt Mehdi die uns am Vortag gegebene Auskunft, telefoniert mit dem Amghar (Ortsvorsteher) von Agadir Ouzrou, der uns helfen will. Wir werden bei unserer Ankunft bereits erwartet, nach der landesüblich ausgedehnten Begrüßung begeben wir uns zum restaurierten Eingangsportal des alten Dorfes. Neidisch beobachte ich, wie eine knappe Handbewegung des Amghars in Richtung einiger neugierig herumstrolchender Kinder reicht, damit diese sich verziehen. Wie sehr wünschen auch wir uns manchmal solchen Respekt...
Ein älterer Mann mit zwei Kupferschalen in der Hand nähert sich - es ist der Verantwortliche der Tanast, der extra gekommen ist, um sie uns vorzuführen. Sorgsam positioniert er die größere der beiden Schalen im Eingangsportal auf einer gemauerten Sitzbank, während der Amghar wie von Zauberhand einen Kanister mit Wasser organisiert. Das Wasser wird in die Schale gefüllt, der Mann gibt ein Zeichen, dass sie ausreichend gefüllt sei. Vorsichtig setzt er nun die kleinere Kupferschale (in der Größe einer Suppenschale) auf das Wasser. Diese Schale - Tanast genannt - hat unten ein kleines Loch, füllt sich also allmählich mit Wasser. In diesem Fall dauert es zehn Minuten ( es gibt auch Tanast, die 30, 45 oder 60 Minuten brauchen), dann geht sie klappernd unter, das Signal für den Wasserwärter die Wasserzufuhr zu den einzelnen Oasenparzellen zu verändern.
Mit verschmitztem Lächeln erhalten wir noch eine weitere Information. Da die Kupferschalen auf Temperatur reagieren, braucht die Tanast im Sommer 10 Minuten, im Winter dagegen 12 Minuten, bis sie untergeht. Wollte man allerdings eine Familie "ärgern", ihr die zustehende Wasserzufuhr verknappen, erhitzte man in der kühleren Jahreszeit eine Tanast gern einmal...
Noch immer hatte sich unsere Frage aber nicht geklärt, warum ein Dorf mit zwei Messsystem arbeitet.
Logische Antwort: die Tanast würde bei bewölktem Himmel und in der Nacht eingesetzt. In der ehemals reichen Oasenwirtschaft war es also notwendig, rund um die Uhr alle Gärten mit der festgelegten Wassermenge zu versorgen. Eigentlich schade, dass diesen Job heute die Wasserpumpen übernommen haben, die in unseren Augen ganz sicher keinen Ersatz für die bis ins Detail ausgeklügelte Zeitmessung einer Tanast sind. Denn dass die Zeit exakt war, konnten wir bei dem Verantwortlichen der Tanast beobachten. Zur Kontrolle schaute er nämlich abwechselnd auf sein Smartphone und seine Digitaluhr. Zufrieden registrierte er, dass die Schale punktgenau unterging!
Der Gemeinschaftscharakter ist natürlich nicht durch eine Uhr ersetzbar, denn der Ort der Tanast ist immer ein Platz gewesen, an dem sich die Männer gern zum Unterhalten trafen. Und das Klappern der Tanast war selbst bei intensiven Gesprächen nicht zu überhören.
Nach dieser Vorführung wird mit dem Wasser aus der größeren Schale sorgsam eine Anpflanzung gewässert, dann packt der Verantwortliche sein Material zusammen, ziert sich etwas, als wir ihm zum Dank einen Schein in die Tasche seiner Djellabah schieben und geht seiner Wege.
Der Amghar lädt uns noch zu einem Rundgang durch das teilweise restaurierte Dorf ein. Dankbar nehmen wir an, waren zwar schon vier Jahre zuvor allein durchgestromert, allerdings ohne zusätzliche Erklärungen zu bekommen. Diese Runde war informativ für uns, wir genießen es jedesmal, wenn Einheimische vertraut mit der Vergangenheit ihrer Heimat sind und ihr Wissen an uns weitergeben.
Barbara & Andreas
marokko-erfahren.de
marokko-erfahren ist eine unabhängige europaweite Privatinitiative zur Förderung von Beschäftigung und Kulturerhalt.
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