08.10.2025, 08:34
(08.10.2025, 06:57)Thomas Friedrich schrieb: Hallo.
Marco hat das ausgesprochen, was auch mir seit Jahrzehnten auffällt.
Doch das ist nur eine Seite der Medaille: Es gibt auch eine andere, nämlich den ursprünglichen Grund der Proteste, nämlich den Versuch, ein altes, kaum funktionierendes System zu durchbrechen.
In Marokko werden höhere Posten nicht nach Qualifikation vergeben, sondern nach Verwandtschaftsverhältnissen und Schmiergeldzahlungen. Das ist einer der Gründe, warum dort viele Menschen kaum Ahnung von dem haben, was sie hauptberuflich tun – und warum es einen riesigen, aufgeblähten Behördenapparat gibt, der nur selten notwendige Leistungen erbringt.
Ein Beispiel:
Die Website des marokkanischen Landwirtschaftsministeriums funktioniert seit Jahresbeginn nicht mehr. Alle angeblich so wichtigen Abteilungen und Unterabteilungen sind online nicht erreichbar. Wichtige Funktionen und Vorgänge sind dadurch noch stärker eingeschränkt als ohnehin schon.
Ironischerweise gilt: Selbst wenn diese Abteilungen (online) erreichbar wären, erhält man in 90 % der Fälle ohnehin keine Antwort auf Anfragen.
Hallo,
Dass hier vieles nicht funktioniert, betrifft nicht nur die Website des Landwirtschaftsministeriums. Selbst bei Banken, die Gebühren für die Kontoführung erheben, sitzen Angestellte, die praktisch keine Ahnung von ihrem eigenen System haben. Das ist kein Witz: Der Wechsel einer einfachen E-Mail-Adresse wird zum Drama in mehreren Akten, das mehrere Filialbesuche und viel Zeit erfordert. Ein Bankangestellter, der seit sieben Jahren dort arbeitet, wusste nicht, dass die E-Mail-Adresse an zwei verschiedenen Stellen hinterlegt ist – primär und sekundär.
Man ist gegen Korruption, man protestiert gegen Korruption. Ist man wirklich gegen Korruption? Nein, natürlich nicht! Wenn Korruption dem eigenen Vorteil dient, ist man nicht dagegen. Gerade jene aus der Altersgruppe „GenZ212“ sind es doch, die mit Mopeds fahren – 90 oder 110 ccm –, ohne Helm, mit dem Handy am Ohr, und bei Rot über die Ampel brettern. Da ist man natürlich einverstanden, wenn man mit 20 oder 50 Dirham davonkommt.
Gegen Korruption ist man nur dann, wenn man selbst keinen Vorteil daraus zieht – gegen jene Korruption, bei der große Summen im Spiel sind. So gesehen liegt sie außerhalb der eigenen Möglichkeiten, und deshalb ist man dagegen.
Einige Wochen zuvor wollte die Polizei damit beginnen, getunte Mopeds aus dem Verkehr zu ziehen. Es folgten Proteste gegen diese Maßnahme – man müsse den Nutzern Zeit geben, ihre Mopeds auf legale 50 ccm zurückzurüsten.
Nicht, weil es nicht genügend Krankenhäuser gäbe – die staatlichen Krankenhäuser sind überlaufen. Zum einen hat man dort den Vorteil einer teilweise kostenlosen Behandlung. Mit etwas Bakschisch erhält man zusätzlich die Vorteile einer schnelleren und effektiveren Versorgung. Dass aus Krankenhäusern auch medizinisches Material gestohlen und günstig an private Kliniken verkauft wird, ist ebenfalls ein Umstand, den man kaum bestreiten muss.
Ebenso ist es ein Problem für den Staat, dass er praktisch viel zu wenig Einnahmen aus Steuern erzielt. Die Steuern müssen gewissermaßen bei der Einfuhr erhoben werden, was natürlich sehr hohe Preise zur Folge hat. Wie im Beispiel mit dem Wasserhahn: Es ist schon ironisch, dass man einen Wasserhahn als banal ansieht – unter der Würde der Marokkaner –, und ihn dann aus China oder Europa importiert. So läuft es hier in vielen Fällen: Man lebt vor sich hin und träumt vom nächsten Milliardendeal.
Erwähnenswert ist auch die Automobilmarke Neo – angeblich 100 % marokkanisch. Ein Rohrkrepierer: Bisher habe ich drei Stück fahren sehen. In diesen Fahrzeugen steckt viel Handarbeit, wenig Automatisierung – aufgrund der hohen Preise für Roboter, die sich bei der geringen Stückzahl schlicht nicht lohnen. Einen Neo sollte man sich besser nur auf Bildern ansehen. In der Realität wirkt das Fahrzeug eher so, als hätte jemand versucht, im Hinterhof ein Auto zusammenzuschustern. Genau das spiegelt Marokko wider: Wir arbeiten irgendetwas – es muss qualitativ nicht gut sein, aber wir haben etwas gemacht und erwarten dafür unseren Lohn, als hätten wir ein meisterhaftes Unikat erschaffen.
MfG
Marco Wensauer
Marco Wensauer