Heute, 08:43
(Gestern, 10:17)Mike schrieb: Nicht funktionierende Technik ist tatsächlich ein großes Problem in Marokko. Man hat die Bahnhöfe mit neuen Fahrscheinautomaten ausgestattet, aber man sieht so gut wie niemanden, der dort ein Ticket zu kaufen versucht. Ich versuchte es an drei verschiedenen Automaten. Jedesmal stürzte die Software ab und das Gerät zeigte "Hors service". Also musste ich mich doch in die Schlange vor dem Fahrkartenschalter einreihen.
Hallo,
Die Fahrscheinautomaten funktionieren seit ihrer Einführung nicht wirklich – es ist eher die Ausnahme, dass man dort ein Ticket bekommt. Es geht ja nicht darum, dass es keine Automaten gibt; vielmehr erfüllen sie eine repräsentative Funktion, mit dem Signal: Wir könnten …
Zitat:Der Grund für die Probleme ist der eklatante Fachkräftemangel. Die universitäre Ausbildung in Marokko ist viel zu theorielastig und veraltet. Bis vor kurzem wurde an der Uni Rabat immer noch BASIC als Programmiersprache gelehrt. Das war in Europa so um 1980 aktuell. Die Spezialisten, die es wirklich können, haben im Ausland studiert. Allerdings kommen die nach dem Studium meistens nicht mehr nach Marokko zurück.
Sollte man den marokkanischen Medien Glauben schenken, gäbe es mehr Fachkräfte als Einwohner in Marokko. Ein Bildungssystem kostet viel Geld, und die Universitäten sind staatlich finanziert. Dem Staat fehlt es an allen Ecken und Enden an Mitteln und er rotiert eigentlich nur noch, um irgendwie Einnahmen zu generieren. Im Großen und Ganzen hängt Marokko Jahrzehnte hinterher. Hier ist doch jeder eine Fachkraft: Wer den Lichtschalter fünfzigmal unfallfrei bedienen kann, gilt bereits als Elektriker.
Zitat:Was die Mopeds angeht: Ich habe einen Bekannten in Marrakech, Sohn eines recht begüterten hohen Beamten. Der fährt ein Motorrad, eine dicke 750er Maschine, kein kleines Moped. Einen Führerschein hat er nicht, weil er keine Lust hatte, auf die Prüfung zu lernen. Warum auch? Er wurde schon mehrfach von der Polizei erwischt, aber jedesmal paukt ihn sein Vater dabei wieder raus. Da kann ich durchaus verstehen, dass man sich aufregt, wenn gegen die Fahrer von 50ccm Gefährten vorgeht. Man hängt die Kleinen, die Großen läßt man laufen.
In Marokko kommt man selbst mit Mord davon, wenn das Portemonnaie groß genug ist. Der Fahrer mit der 750er repräsentiert Einzelfälle – das ist nicht die breite Masse. Im Übrigen fahren auch die 110-ccm- und 90-ccm-Maschinen ohne Führerschein. Es geht ja nicht gegen die 50-ccm-Klasse, sondern tatsächlich gegen alles, was größer als 50 ccm ist, dazu gehört eben auch die 750er. Genau das ist die Argumentation: Wir haben Tausende von 110-ccm-Fahrern, die täglich Hunderte von Unfällen verursachen, und beziehen uns dann auf Einzelfälle. Hier zeigen sich bereits die ersten Widersprüche der GenZ.
Zitat:Andererseits: Meine Schwägerin hatte einmal großen Ärger, weil sie während des Ramadans im Auto (!) einen Kaugummi im Mund hatte. Vom religiösen Standpunkt war das völlig in Ordnung, denn gerade bei Frauen gibt es viele Ausnahmen vom Fastengebot. Sie wollte das fällige Schmiergeld an den Polizisten nicht zahlen und bekam eine Vorladung vor Gericht. Dort wurde von ihr ein medizinisches Attest verlangt, dass sie an diesem Tag von der Fastenpflicht befreit war. Merkwürdigerweise scheinen solche Dinge aber niemanden aufzuregen.
Während des Ramadans herrschen pures Chaos und Anarchie. Alles ist erlaubt außer Essen und Trinken. Hier gilt das Motto: Bloß nicht erwischen lassen. Es ist nun einmal gesetzlich verankert, dass öffentliches Essen und Trinken verboten ist. Und nun ja in dieser Zeit ist es das einzige Gesetz, das wirklich konsequent Anwendung findet.
Im Großen und Ganzen lässt sich vieles auf den Fachkräftemangel schieben. Dennoch ist es so: Hier wird das heutige Problem gerne auf morgen verschoben, was zu einem Problemstau führt, der irgendwann so groß wird, dass er nicht mehr zu bewältigen ist. Es gibt hier sogar einen Begriff dafür: System D. Dieses Prinzip findet Anwendung von ganz oben bis ganz unten. Es ist ja nicht so, dass man Probleme vermeidet nein, man schafft sich sogar bewusst neue, selbst wenn sie noch so unlogisch erscheinen.
Ein gutes Beispiel: die Anschaffung eines Autos. Es wird ein Diesel gekauft, obwohl man mehrfach darauf hingewiesen wird, dass der Dieselpartikelfilter im Stadtverkehr zum Problem wird und teuer. Das Argument für Diesel lautet: An der Tankstelle ist er billiger, und das Problem mit dem Partikelfilter kommt ja erst später.
Mittlerweile denken die Hersteller für den Kunden mit und bieten teilweise gar keine Dieselmodelle mehr an um die Garantiekosten zu senken.
Vor Jahren wurde in Marrakesch ein Tunnel zur Verkehrsentlastung gebaut, so richtig funktioniert er nicht. Denn entlastet wird lediglich die Nebenstrecke, nicht aber die Hauptroute. Und aufgrund dieser negativen Erfahrung man glaubt es kaum wird aktuell ein zweiter Tunnel an anderer Stelle gebaut.
Ich habe mir die Baustelle angesehen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Die Strecke, die jetzt schon völlig überlastet ist, wird durch diesen Tunnel überhaupt nicht entlastet, nicht einmal ansatzweise.
Wenn der Tunnel fertig ist, soll der neue Busbahnhof eröffnet werden, jener Busbahnhof, der bereits seit 2020 fertiggestellt ist. Über die heute schon überlastete Straße soll dann der Großteil des Zubringerverkehrs und der Busse rollen.
Ich möchte anmerken, dass ich kein Fachmann für Verkehrsinfrastruktur bin – obwohl ich schon mehr als fünfzigmal einen Stadtplan unfallfrei gefaltet habe. Aber hier sitzen studierte Fachkräfte für Infrastruktur und planen so einen Tunnel? Da stellt man eigentlich keine Fragen mehr.
Genau so läuft es in Marokko: Der Auftrag wurde erfüllt gut, auch wenn es nicht funktioniert hat, habe ich etwas geleistet und möchte dafür fürstlich entlohnt werden.
MfG
Marco Wensauer
Marco Wensauer