14.08.2018, 20:50
Dublin, eine türkische Rose und Marokko
Lieber Leser,
wie du bereits aus der Überschrift leicht erkennst, sind das drei Dinge die rein gar nichts miteinander zu tun haben.
Genau das hätte ich vor ein paar Jahren behauptet, wenn mich jemand danach gefragt hätte. Doch es kommt im Leben oft anders als man denkt und so…
Statt im Marokko stehe ich in Dublin und verbringe meine Ferien dieses Jahr auf der kleinen Insel westlich von Großbritannien. Sie ist ganz anders als Marokko, mit ihrer Sprache. Als ich mich mit jemanden in einer Post unterhielt, verwechselte ich ein Wort, entschuldigte mich dafür: "Sorry, ich habe das falsche Wort benutzt." "Macht nichts," erwiderte mein Gegenüber lachend. "Du bist in Irland. Wir verballhornen die englische Sprache täglich." Es ist wirklich schwierig für Muttersprachniveau Englisch, das irische Englisch zu verstehen. Sie haben ihre eigene Aussprache, einen besonderen Sound. Vergleichbar vielleicht mit bayrisch und hochdeutsch oder arabisch und Darjia. Und erst einmal ihre eigene Sprache! Gälisch hat rein gar nichts mit englisch, der Sprache der Besatzer, zu tun. Es erinnert mich irgendwie an klingonisch. Genau das hatte ich gedacht, als ich das erste Mal Tamazight hörte.
Die Iren sind rechte Dickköpfe. Im Kampf gegen ihre Besetzer haben viele ihrer Vorfahren ihr Leben gegeben. Erst nach einem vier Jahre dauernden irischen Unabhängigkeitskrieg wurde der anglo-irische Vertrag ausgehandelt, der Südirland die Unabhängigkeit gab. Im Gegenzug verblieben sechs Provinzen Nordirlands beim Britischen Empire. Noch heute ergeben sich aus diesem Krieg politische Reibereien. Ich wäre eine Närrin zu behaupten, dieser Kampf erinnere mich an den Kampf der Amazight in der Gegend Al Hoceima.
Ihren Stolz haben die Iren verinnerlicht, obwohl Irland wegen seiner Armut ein Ausreiseland war und immer noch ist. Es gab irische Städte, die während der größten Auswanderzeit über 20% ihrer Bevölkerung verloren. Viele von ihnen starben in den Fluten, weil sie auf Schiffe stiegen, die nicht sicher waren und sanken…
Mit dem Besitzer eines Pubs, in dessen B&B ich übernachtete, kam ich ins Gespräch. Alle seine fünf Kinder haben studiert: "Das war manchmal nicht leicht," erzählte er mir den Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand reibend. Drei von ihnen leben als Ingenieur, IT-Fachmann und Ausbilder in England, Amerika und Australien. Zwei als Lehrer und Ingenieur in Irland. Ein Sohn wurde mir als 7. Besitzergeneration im Pub vorgestellt. Pubs sind ein wichtiger Bestandteil des sozialen Lebens in den Städten und Dörfern, sie sind zentraler, generationsübergreifender Treffpunkt zum Reden, Musizieren und Geschäfte machen. In diesem Nest von 600 Seelen gibt es 5 Pubs! Und alle leben!!! Und falls ihr denkt, es ist Sean`s Bar in Athlone, seid ihr auf dem Holzweg. Die hat schon einige Generationen mehr auf dem Buckel, allerdings immer noch gute irische Musik zu einem Cider oder Pint. All das hat natürlich gar keine Ähnlichkeiten mit den Treffpunkten in den Cafés in Marokko.
Viele im Ausland lebende Iren, kommen sehr regelmäßig in ihre alte Heimat zurück, machen dort Urlaub, stellen ihren Kindern und Enkeln den Ursprung ihrer Familien vor. An irgendeiner Ecke von Valentia Island auf irgendeinem Berg mit irgendeinem alten Steindenkmal traf ich eine Familie, die auch gerade auf Heimaturlaub war. Nachdem wir ein paar Wandertipps ausgetauscht hatten, zeigt die Frau auf eine kleine Insel gegenüber: "Schau, dort ist meine Mutter geboren. Wenn du genau hinsiehst, erkennst du ihr Geburtshaus. Dort rechts der kleine weiße Fleck ist es. Vor acht Jahren war ich das letzte Mal da. Damals lebten noch fünf Menschen, die auf dieser Insel geboren wurden. Irgendwann werden wir mit unserer Tochter noch einmal hinreisen." An was erinnert mich das nur? Deutsch-Marokkaner auf…
Ohne auf die großartige irische Gastfreundschaft einzugehen, bin ich mir fast sicher, dass… Ich komme gerade durcheinander, schreibe ich noch über Irland?
Eine Tatsache, die mir durch eine Studentin, die ihren Wanderurlaub in der gleichen Gegend machte, bestätigt wurde, ist, dass man in Irland viel Kleingeld auf der Straße findet oder es beim Einkauf geschenkt bekommt. Daraus habe ich noch keine Antwort gefunden. Vielleicht in einem nächsten Urlaub in Irland. ABER! Deutsch akribisch wanderte gefundenes und geschenktes Geld in meine linke Jackentasche, in der es den gesamten Urlaub klapperte.
Kennt ihr die irische Musik? Sie ist so herzzerreißend sehnsuchtsvoll. Ich liebe sie und eine Band läuft gerade in meinem CD-Player hoch und runter. Es steckt so viel Hingabe, Liebe und Sehnsucht in ihr, wie ich es bei vielen Liedern aus dem Rif bereits kenne. Upps…
Link zu den high kings
Meine Freundin Gül aus der Geschichte oben, Gül ist türkisch und bedeutet Rose, hat mir mal erzählt, dass sie ihren Kindern beibringt, gefundenes Geld gehöre einem nicht und muss an Menschen weiter geben werden, die es dringender brauchen. Dies habe ich als Brauch für mich vereinnahmt und sammle es eine Weile, verdoppele es und spende es gemeinnützig. Was aber mache ich jetzt am letzen Tag mit diesem Geld? Es muss in Irland bleiben!
Ich bin bereits wieder in Dublin. Es ist spät, ich bin auf dem Weg in Richtung Tempelbar-Viertel, um zu Abend zu essen. Dabei denke ich an Gül und die vielen Muslime, die nun auch in meiner Stadt leben. Sehr wenige Muslime habe ich hier gesehen. Ich erinnere mich an eine Frau, die mir half, einen Kaffee-to-go an einem Automaten zu machen: "Wo kommst du her?" "Deutschland." "Das ist weit, mein zu Hause ist noch weiter: Bangladesh." "Ja," entgegnete ich. "Sehr weit."
Inzwischen ist mein Bauch zum Platzen voll, der irische Stew war fantastisch. Die anschließende Nuss-Zauber-Eiswaffel aus einem kleinen Laden, der auch Zauber-Tee-Varianten verkaufte, hat das Mahl vervollkommnet. Ich werde ins Hostel gehen und morgen sehr früh aufbrechen, den Leihwagen (Die Iren sind wahrlich stur, sogar das Lenkrad haben sie auf der falschen Seite, nur um die Touris zu irritieren.) abgeben und heimfliegen.
Plötzlich sehe ich gefühlte 100 muslimische Frauen, die auf der Straße einen großen Tisch mit Speisen und Getränken decken. So viele, ich habe das Gefühl in Marokko zu sein. Ich wende mich an eine Frau vor mir: "Was macht ihr hier?" "Oh, das ist für Obdachlose. Damit sie etwas Warmes zu essen bekommen." "Mit wem kann ich hier reden?" "Da vorn, die Frau mit dem weißen Hijab," sie zeigt mit dem Finger an das andere Ende der Tafel und hat sich bereits wieder ihrer Aufgabe zugewandt. Ich schmeiße das Kleingeld in mein Portemonnaie, ziehe meinen letzen Geldschein heraus und gehe auf die Frau zu. Sie ist sehr beschäftigt und hat keine Zeit, es wird schnell gehen müssen. "Salam, ihr macht das hier für arme Menschen?" Sie schaut mich an: "Ja, warum?" Ich drücke ihr den Schein in die Hand: "Dann könnt ihr das gebrauchen." Ihre Augen leuchten: "Ja, danke," und weg bin ich.
Was ich mit dieser Episode sagen möchte? Es sind Muslime, die in einem fremden Land leben und Menschen helfen, denen es schlechter geht als ihnen. So habe ich Muslime kennengelernt, von ihnen gelernt und sie in mein Herz geschlossen. Genau das hätte ich vor einigen Jahren nicht so sehen können, einfach nur, weil ich sie nicht kannte.
Für mich hat sich wieder einmal ein Kreis geschlossen.
Und klar, Marokko ist auch noch dran…im Herbst…wenn das marokkanische Wetter sich dem irischen Sommer angleicht.
Katrin
Lieber Leser,
wie du bereits aus der Überschrift leicht erkennst, sind das drei Dinge die rein gar nichts miteinander zu tun haben.
Genau das hätte ich vor ein paar Jahren behauptet, wenn mich jemand danach gefragt hätte. Doch es kommt im Leben oft anders als man denkt und so…
Statt im Marokko stehe ich in Dublin und verbringe meine Ferien dieses Jahr auf der kleinen Insel westlich von Großbritannien. Sie ist ganz anders als Marokko, mit ihrer Sprache. Als ich mich mit jemanden in einer Post unterhielt, verwechselte ich ein Wort, entschuldigte mich dafür: "Sorry, ich habe das falsche Wort benutzt." "Macht nichts," erwiderte mein Gegenüber lachend. "Du bist in Irland. Wir verballhornen die englische Sprache täglich." Es ist wirklich schwierig für Muttersprachniveau Englisch, das irische Englisch zu verstehen. Sie haben ihre eigene Aussprache, einen besonderen Sound. Vergleichbar vielleicht mit bayrisch und hochdeutsch oder arabisch und Darjia. Und erst einmal ihre eigene Sprache! Gälisch hat rein gar nichts mit englisch, der Sprache der Besatzer, zu tun. Es erinnert mich irgendwie an klingonisch. Genau das hatte ich gedacht, als ich das erste Mal Tamazight hörte.
Die Iren sind rechte Dickköpfe. Im Kampf gegen ihre Besetzer haben viele ihrer Vorfahren ihr Leben gegeben. Erst nach einem vier Jahre dauernden irischen Unabhängigkeitskrieg wurde der anglo-irische Vertrag ausgehandelt, der Südirland die Unabhängigkeit gab. Im Gegenzug verblieben sechs Provinzen Nordirlands beim Britischen Empire. Noch heute ergeben sich aus diesem Krieg politische Reibereien. Ich wäre eine Närrin zu behaupten, dieser Kampf erinnere mich an den Kampf der Amazight in der Gegend Al Hoceima.
Ihren Stolz haben die Iren verinnerlicht, obwohl Irland wegen seiner Armut ein Ausreiseland war und immer noch ist. Es gab irische Städte, die während der größten Auswanderzeit über 20% ihrer Bevölkerung verloren. Viele von ihnen starben in den Fluten, weil sie auf Schiffe stiegen, die nicht sicher waren und sanken…
Mit dem Besitzer eines Pubs, in dessen B&B ich übernachtete, kam ich ins Gespräch. Alle seine fünf Kinder haben studiert: "Das war manchmal nicht leicht," erzählte er mir den Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand reibend. Drei von ihnen leben als Ingenieur, IT-Fachmann und Ausbilder in England, Amerika und Australien. Zwei als Lehrer und Ingenieur in Irland. Ein Sohn wurde mir als 7. Besitzergeneration im Pub vorgestellt. Pubs sind ein wichtiger Bestandteil des sozialen Lebens in den Städten und Dörfern, sie sind zentraler, generationsübergreifender Treffpunkt zum Reden, Musizieren und Geschäfte machen. In diesem Nest von 600 Seelen gibt es 5 Pubs! Und alle leben!!! Und falls ihr denkt, es ist Sean`s Bar in Athlone, seid ihr auf dem Holzweg. Die hat schon einige Generationen mehr auf dem Buckel, allerdings immer noch gute irische Musik zu einem Cider oder Pint. All das hat natürlich gar keine Ähnlichkeiten mit den Treffpunkten in den Cafés in Marokko.
Viele im Ausland lebende Iren, kommen sehr regelmäßig in ihre alte Heimat zurück, machen dort Urlaub, stellen ihren Kindern und Enkeln den Ursprung ihrer Familien vor. An irgendeiner Ecke von Valentia Island auf irgendeinem Berg mit irgendeinem alten Steindenkmal traf ich eine Familie, die auch gerade auf Heimaturlaub war. Nachdem wir ein paar Wandertipps ausgetauscht hatten, zeigt die Frau auf eine kleine Insel gegenüber: "Schau, dort ist meine Mutter geboren. Wenn du genau hinsiehst, erkennst du ihr Geburtshaus. Dort rechts der kleine weiße Fleck ist es. Vor acht Jahren war ich das letzte Mal da. Damals lebten noch fünf Menschen, die auf dieser Insel geboren wurden. Irgendwann werden wir mit unserer Tochter noch einmal hinreisen." An was erinnert mich das nur? Deutsch-Marokkaner auf…
Ohne auf die großartige irische Gastfreundschaft einzugehen, bin ich mir fast sicher, dass… Ich komme gerade durcheinander, schreibe ich noch über Irland?
Eine Tatsache, die mir durch eine Studentin, die ihren Wanderurlaub in der gleichen Gegend machte, bestätigt wurde, ist, dass man in Irland viel Kleingeld auf der Straße findet oder es beim Einkauf geschenkt bekommt. Daraus habe ich noch keine Antwort gefunden. Vielleicht in einem nächsten Urlaub in Irland. ABER! Deutsch akribisch wanderte gefundenes und geschenktes Geld in meine linke Jackentasche, in der es den gesamten Urlaub klapperte.
Kennt ihr die irische Musik? Sie ist so herzzerreißend sehnsuchtsvoll. Ich liebe sie und eine Band läuft gerade in meinem CD-Player hoch und runter. Es steckt so viel Hingabe, Liebe und Sehnsucht in ihr, wie ich es bei vielen Liedern aus dem Rif bereits kenne. Upps…
Link zu den high kings
Meine Freundin Gül aus der Geschichte oben, Gül ist türkisch und bedeutet Rose, hat mir mal erzählt, dass sie ihren Kindern beibringt, gefundenes Geld gehöre einem nicht und muss an Menschen weiter geben werden, die es dringender brauchen. Dies habe ich als Brauch für mich vereinnahmt und sammle es eine Weile, verdoppele es und spende es gemeinnützig. Was aber mache ich jetzt am letzen Tag mit diesem Geld? Es muss in Irland bleiben!
Ich bin bereits wieder in Dublin. Es ist spät, ich bin auf dem Weg in Richtung Tempelbar-Viertel, um zu Abend zu essen. Dabei denke ich an Gül und die vielen Muslime, die nun auch in meiner Stadt leben. Sehr wenige Muslime habe ich hier gesehen. Ich erinnere mich an eine Frau, die mir half, einen Kaffee-to-go an einem Automaten zu machen: "Wo kommst du her?" "Deutschland." "Das ist weit, mein zu Hause ist noch weiter: Bangladesh." "Ja," entgegnete ich. "Sehr weit."
Inzwischen ist mein Bauch zum Platzen voll, der irische Stew war fantastisch. Die anschließende Nuss-Zauber-Eiswaffel aus einem kleinen Laden, der auch Zauber-Tee-Varianten verkaufte, hat das Mahl vervollkommnet. Ich werde ins Hostel gehen und morgen sehr früh aufbrechen, den Leihwagen (Die Iren sind wahrlich stur, sogar das Lenkrad haben sie auf der falschen Seite, nur um die Touris zu irritieren.) abgeben und heimfliegen.
Plötzlich sehe ich gefühlte 100 muslimische Frauen, die auf der Straße einen großen Tisch mit Speisen und Getränken decken. So viele, ich habe das Gefühl in Marokko zu sein. Ich wende mich an eine Frau vor mir: "Was macht ihr hier?" "Oh, das ist für Obdachlose. Damit sie etwas Warmes zu essen bekommen." "Mit wem kann ich hier reden?" "Da vorn, die Frau mit dem weißen Hijab," sie zeigt mit dem Finger an das andere Ende der Tafel und hat sich bereits wieder ihrer Aufgabe zugewandt. Ich schmeiße das Kleingeld in mein Portemonnaie, ziehe meinen letzen Geldschein heraus und gehe auf die Frau zu. Sie ist sehr beschäftigt und hat keine Zeit, es wird schnell gehen müssen. "Salam, ihr macht das hier für arme Menschen?" Sie schaut mich an: "Ja, warum?" Ich drücke ihr den Schein in die Hand: "Dann könnt ihr das gebrauchen." Ihre Augen leuchten: "Ja, danke," und weg bin ich.
Was ich mit dieser Episode sagen möchte? Es sind Muslime, die in einem fremden Land leben und Menschen helfen, denen es schlechter geht als ihnen. So habe ich Muslime kennengelernt, von ihnen gelernt und sie in mein Herz geschlossen. Genau das hätte ich vor einigen Jahren nicht so sehen können, einfach nur, weil ich sie nicht kannte.
Für mich hat sich wieder einmal ein Kreis geschlossen.
Und klar, Marokko ist auch noch dran…im Herbst…wenn das marokkanische Wetter sich dem irischen Sommer angleicht.
Katrin
_______
Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein, sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.
Johnann Wolfgang von Goethe
Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein, sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.
Johnann Wolfgang von Goethe