auf der Flucht
#12
Hallo Otto und andere,
 
ich stimme Dir so weit zu, außer damit, dass es in Marokko keine Arbeit gibt.
Vielmehr gibt es jede Menge Arbeit aber keine Menschen die in der Lage sind diese richtig zu erfüllen!
 
Ich möchte einige Beispiele nennen, das jüngste vom heutigen Tag:
 
Wir haben heute an unserer Farm mit der Olivenernte begonnen.
Die Erntehelfer sollten um 8.00 Uhr heute Morgen beginnen.
Derzeit ist ein 14 Jähriger deutscher Praktikant bei uns.
Er wollte auch mithelfen und freute sich schon darauf. Er stand unaufgefordert schon um 6.00 Uhr auf um vor dem Arbeitsbeginn fertig geduscht und gefrühstückt zu haben.
So ging ich mit ihm um 7.45 Uhr zum Feld.
Um 8.00 Uhr war noch Totenstille. Von den Erntehelfern war weit und breit nichts zu sehen.
Die Zeit verging. Es wurde 8.15 Uhr, 8.30 Uhr, 8.45 Uhr und schließlich 9.00 Uhr.
Gegen 9.10 Uhr tauchten die ersten auf.
Als dann gegen 9.30 Uhr von den 12 bestellten 10 anwesend waren erklärte man mir auf Nachfragen, dass man mit „alter Zeit“ arbeiten würde.
Gemeint war die schon seit längerem abgeschaffte Sommerzeit.
Natürlich weiß ich, dass in Marokko viele Menschen nach „alter Zeit“ arbeiten.
Aber warum?
Ist es Faulheit weil man dadurch morgens eine Stunde länger schlafen und abends/nachts  eine Stunde länger herum laufen kann?
Oder ist es die fehlende Fähigkeit oder der fehlende Wille sich auf Erneuerungen einzustellen?
In Deutschland käme kaum jemand auf die Idee nach der Zeitumstellung seine Uhr einfach nicht umzustellen.
 
Ich schlug dann vor, dass wir doch jetzt alle unsere Uhren auf 4.30 Uhr zurück stellen sollten, denn dann könnten wir uns nochmal vier Stunden ins Bett legen.
Es folgte ein kurzes Gelächter.
Nachdem man sich wegen dem Spätaufstehen versuchte sich mit „es ist kalt“ zu erklären nahm dann die Arbeit ihren Lauf.
Natürlich war es mit 10 Grad nicht wirklich kalt.
Ich sprach davon, dass in Europa unter ganz anderen Temperaturen draußen gearbeitet wird.
„Ihr seit ja auch reich“, höre ich einen Arbeiter munkeln.
Mit den Händen wurden die Oliven von den Bäumen gestreift.
Vor Jahren hatte ich in einem TV-Beitrag über die Olivenernte in Griechenland gesehen, dass Pflücker dort große Kämme haben mit denen die Oliven bequem von den Ästen gekämmt werden.
Daraufhin hatte ich bei einem örtlichen Schlösser die Kämme nachbauen lassen und ausprobiert.
Das Ergebnis war, dass 10 mal schneller geerntet werden konnte.
Es war in diesem Jahr wie in jedem Jahr: Ich gab den Erntehelfern die Kämme und sie arbeiteten ganze 30 Minuten damit, nämlich nur genau so lange wie ich neben ihnen stand.
Sobald ich weg war pflückten sie wieder mit der Hand obwohl es mit den Kämmen weitaus schneller und bequemer ging und die Arbeiter zudem noch nach geernteten Kilogramm bezahlt werden.
Eine Erklärung warum man die Kämme nicht nutze hatte niemand.
Meine Erklärung ist, dass die Menschen nicht in der Lage sind sich auf Erneuerungen einzustellen.
 
Gegen 10.00 Uhr kam dann auch Fatma hinzu, die 17 Jährige Tochter meines Vorarbeiters, die wegen ihrer Mutter und der Oma mit ihren beiden jüngeren Schwestern nicht mehr in die Schule gehen darf und darauf wartet, dass sie bald verheiratet wird.
Fatma meinte, dass sie eigentlich früher kommen wolle aber sie habe kalt geschlafen, deswegen sei es etwas später geworden.
Kalt geschlafen? Warum?
Als ich vor einigen Jahren für mein Haus neue Betten gekauft hatte schenke ich der Arbeiterfamilie meine ausrangierten.
Schon wenige Zeit später fand ich die Matratzen zwischen den Olivenbäumen herum fliegen. Die Kinder nutzten sie als Unterlage zum Springen aus den Bäumen.
Die Metallgestelle fand ich später im Ziegenstall als Einfassung.
Geschlafen wurde weiter hin auf dem kalten und harten Boden.
Natürlich so wie bei allen einfachen Leuten in Marokko: Mit Kleidung. Drei Hosen übereinander gezwängt und mindestens fünf Oberteile die allesamt drücken und quetschen.
Von einem erholsamen, bequemen Gesundschlaf kann auch im entferntesten nicht die Rede sein.
Aber warum schläft man nicht auf Betten?
Meiner Meinung nach sind die Menschen nicht in der Lage sich auf Erneuerungen einzustellen.
 
So habe ich nur an einem einzigen Morgen schon zahlreiche Dinge entdeckt, die schieflaufen.
Im Laufe von Wochen, Monaten und Jahren sind es unendlich viele.
 
Letzte Woche war ich in unserer Stadt beim Schuster. Es sind zwei Brüder die in einer Doppelgarage nahezu Tag und Nacht arbeiten und der Haufen mit unerledigten Arbeiten wird immer höher.
Sie klagten, dass sie niemanden finden würden der ihnen hilft. Sie könnten ein bis zwei Leute einstellen aber sie würden niemanden finden.
Gegenüber an der anderen Straßenseite würde immer ein Grüppchen arbeitsloser Jugendlicher sitzen und an den Handy´s spielen.
Angesprochen auf einen Job beim Schuster würden sie abwinken und sich Pläne machen, wie sie illegal nach Europa kommen könnten um reich zu werden.
 
Zwei Tage später sprach ich kurz mit unserem Nachbarn. Es ist der Betreiber einer Privatklinik in unserer Stadt.
Er suche einen Krankenwagenfahrer. Den letzten habe er entlassen müssen, da er sein Privatauto mit der Tankkarte der Klinik betankt hätte.
Ebenso habe er den Kantinenkoch entlassen. Diesem sei beim Handschütteln bei der Verabschiedung ein Kilo Fleisch unten aus der Djellabah gefallen.
Er wolle nicht wissen, wie viele Familienmitglieder der im Laufe der letzten Monate miternährt habe, sagte mir der Arzt.
 
Von einem marok. Bauunternehmer weiss ich, dass alleine in Marrakech in den letzten Jahren permanent einige Hundert portugiesische Bauarbeiter tätig waren. Sie legten Fliesen und installierten Leitungen.
Wo waren die Marokkaner?
Ich erfuhr, dass die Portugiesen zwar teurer aber auch schneller und besser wären, was sich letztendlich rechnen würde.
 
 
Aber wieder zurück zu mir:
Die Erntehelfer meckerten heute Morgen herum, dass die Oliven in diesem Jahr kleiner seien als im Vorjahr. Deswegen würde es länger dauern. Sie wollten für eine volle Kiste nicht 1.000 Real sondern 2.000 Real haben.
Aber warum verwenden sie nicht die Erntekämme?
Und Real? Das ist eine Währung die es seit über hundert Jahren nicht mehr in Marokko gibt.
1 Dirham sind 20 Real. Sie sehen also einen 20 Dirham Schein als einen 400 Real Schein an.
Dadurch machen die ohnehin rechenschwachen Menschen sich das Rechnen nur noch komplizierter.
Ich weiß, die DM-Euro-Umstellung hat zwar in Deutschland auch einige Jahre gedauert aber bei Weitem keine hundert Jahre.
Und warum rechnen die Menschen hier noch immer in Real?
Weil sie nicht in der Lage sind sich auf neuere Situationen einzustellen!
 
Plötzlich ging eine Email ging in meinem Handy ein.
Ein Pharmaunternehmen in Deutschland fragte nach den Heilpflanzen die schon vor vier Monaten bei mir bestellt wurden und vor sechs Wochen geliefert werden sollten.
Ich rief gleich bei meinen Sammlern im fernen Tiflet (Nähe Rabat) an um nachzuhören.
Es ging niemand ans Telefon.
Etwa eine halbe Stunde, gegen 10.45 Uhr kam der Rückruf.
Man sei gerade beim Frühstück und hätte das Telefon deswegen nicht gehört.
Die Pflanzen seien in zwei Wochen fertig, versicherte man mir.
Natürlich weiß ich,  dass zwei Wochen in Marokko weitaus länger dauern als 14 Tage.
Warum eigentlich?
 
Morgen werde ich zurück ins 160 km entfernet Errachidia, zu unserem Hauptwohnsitz fahren.
Dort werde ich, wie immer wenn ich einige Tage abwesend gewesen bin, den Müll aufsammeln der vor unserem Haus am Straßenrand liegt. Zwar wohnen wir in einem besseren Wohnviertel aber trotzdem liegt dort verwehter Müll herum.
Von unseren Nachbarn kümmert sich niemand darum.
Zwar laufen die an jedem Freitag in die Moschee um Allah zu bitten, dass sie nach ihrem Leben im (müllfreien!) Paradies weiter leben können aber auf Erden bemühen sie sich nicht um eine saubere Umgebung.
Wenn ich dann den Müll aufhebe und in einen Eimer stecke drücken sie sich an den Fensterscheiben ihrer Häuser die Nasen platt und beobachten mich.
Hinterher wird im Wohnviertel geredet: „Der Deutsche ist schmutzig, denn der hebt Müll auf.“
 
 
Alles in allem bleibt festzustellen, dass hier viele Menschen nicht den Anforderungen für ein Leben im Wohlstand im 21. Jahrhundert entsprechen. Materiell sind sie uns zwar gleich. Sie fahren Autos, haben Handy´s und Computer aber die Denk.- und Handlungsweise ist oft eine völlig andere als in das Zeitalter dieser Entwicklungen passend.
Seit mehr als 1.000 Jahren gibt es keine weltverändernde Erfindung mehr in einem arabischen Land. Autos, Flugzeugte, Elektrizität, Beton, und Glas, alles kommt von den Menschen denen sie angeblich aufgrund ihrer Religion überlegen sind.
Wenn ich mich recht erinnere hat in Nordafrika selbst die Jungsteinzeit einige Tausend Jahre später als in Europa stattgefunden.
 
 
Ich kenne zahlreiche marokkanische Unternehmer die händeringend Arbeiter und Angestellte suchen aber nur schwer welche finden, die den Anforderungen gerecht werden.
 
Andererseits hängen viele junge Menschen mit einer Ausbildung, einem sog. Diplom zu Hause herum und warten bis ihnen jemand die Arbeit ins Haus bringt.
Statt Bewerbungen zu schreiben spielen sie an ihren Handy´s herum und warten bis die Arbeit kommt.
In Marokko gibt es eine Gewerkschaft der arbeitslosen Akademiker!
Zu früheren Zeiten hatten die einmal im Monat vor dem Parlament in Rabat demonstriert.
Ihr Standpunkt war „Ich habe für den Staat studiert also muss der Staat mir eine Arbeit geben!“
 
Was für eine (für mich) befremdliche Denkweise!
Ich würde eher sagen „Ich habe für mich selber studiert und muss mich selber um einen Job bemühen.“
Ohnehin ist hier die Einstellung zur Arbeit für sehr viele Menschen weit von der Einstellung entfernt, die z.B. Japaner haben.
Japaner zählen mit zu den wohlhabenderen Menschen in der Welt.
Woran könnte das wohl liegen?
 
Es gibt bestimmte „deutsche Tugenden“, die aus die Menschen aus unseren Nachbarländern haben.
Das sind u.a. das Bestreben sich selbst zu verbessern, sich zu qualifizieren und sich weiter zu entwickeln. Das sind Fleiß, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit.
Wer in Europa lebt und diese Tugenden nicht hat und den ganzen langen Tag herum lungert, kann es i.d.R. nicht zu Wohlstand bringen.
Und wer in Marokko lebt und diese Tugenden besitzt kann es auch dort zu Wohlstand bringen!
 
Ich möchte nicht verallgemeinern und nicht den Eindruck hinterlassen, dass alle Marokkaner so sind aber zu viele sind so.
Ich kenne auch zahlreiche, die ganz anders sind als in diesem Text beschrieben! Das sind aber auch die, die den Anforderungen entsprechen und deswegen einen festen Beruf ausüben, sich ein Haus, ein Auto und immer öfters einen Urlaub  in Spanien leisten können.
 

.
Mit besten Grüßen aus Errachidia,

Thomas



In Marokko ist alles möglich nur nichts schnell.
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