Ramadan - ein Kind erzählt
#1
Heart 
Im Forum 1.0 gab es viele schöne Beiträge. Dieses ist der erste Beitrag, den ich zu "retten" versuche. 

Shakir. [Bild: offline.gif] 

Shakir offline
Registriert: 03/05/2006 


Ramadan - ein Kind erzählt

Ramadan hat für die Muslime eine große Bedeutung. Er gehört zu den fünf Säulen des Islams. 
Um das Wohlgefallen Allahs (swt) zu erlangen, ist seine Einhaltung Pflicht. Aus der Sicht
vieler Nichtmuslims ist der Ramadan deshalb nur eine religiöse Pflicht. Doch ist der Ramadan viel mehr.
Nur wer ihn in der Familie erlebt hat, hat die Faszination des Ramdans erlebt. 

Der kleine Shakir erlebte den Ramdan hautnah mit. Er sah, wie sich die ganze Familie 
auf den Ramadan vorbereitet hat. Wochen vorher wurde begonnen, Vorräte für den wichtigsten
Monat aufzubauen, damit es uns auch wirklich an nichts fehlte. Wenn es bei uns große Packungen
an Datteln gab, war mir als Kind klar, was bald anstand. Die Bestellung von Datteln war immer
eine Tortour. Ein Onkel hat sie für uns in Bonn mit wachsamen Augen begutachtet, bevor wir mit
ihnen versorgt wurden. Die Datteln kamen aus Saudi-Arabien. Und am Schluß des Ramadans
wurde immer ein Resumee über die Qualität der Datteln gezogen. Und damit mein Onkel sich nicht 
beleidigt fühlte, waren sie immer gut. 

Da Klein-Shakir ein aufgewecktes und sehr neugieriges Kind war, hatte er zum Ramadan einige Fragen an die
Großen: 

"Sag mal Mama, wieso fasten wir?" 

"Damit wir wissen, wie sich die Armen fühlen! Es gibt viele arme Menschen, die den ganzen Tag nichts zu 
essen haben. Wir sollen nachvollziehen können, wie es diesen Menschen ergeht. Diese Menschen, die jeden Tag
darüber nachdenken, wie sie etwas zu essen kriegen können." 

"Das kann ich mir doch auch so vorstellen!" 

"Nein Shakir, du sollst es erleben. Du sollst abends beim Fastenbrechen dankbar sein. Du sollst
deinem Allah (swt) dankbar sein, dass du nicht zu den Menschen gehörst, die hungern müssen. Wie willst
du etwas schätzen lernen, wenn du es noch nie vermisst hast. Der Ramadan ist eine besondere Zeit. Eine Zeit, 
in der du Allah (swt) viel näher kommen kannst, als in anderen Monaten. Allah (swt) liebt dich und du sollst Allah(swt) 
deine Liebe und Dankbarkeit zeigen. Schau mal: Bist du mir dankbar, mein Sohn?"

"Ja - Mama."

"Und warum?"

"Weil du meine Mama bist... und und weil du für mich da bist. Wenn ich krank bin, schreie ich nach dir 
und du bist da."

"Siehst du mein Sohn - Allah (swt) ist auch immer für dich da und will dich dankbar sehen. Aber mach dir noch 
keine Sorgen - du bist jung und du brauchst noch nicht fasten." 

"Ich will aber auch fasten - weckst du mich auch auf, um mit euch zu fasten?" 

"Nein - du hast Zeit!"

"Ach bitte Mama - wenigstens einen Tag!" 

Abends erhielten wir einen Anruf von unserem Onkel: "Morgen ist Ramadan". Der Mond wurde gesichtet und morgen ist der erste Tag
vom Ramadan. Alle freuten sich und der kleine Shakir mit ihnen. Meine Mutter bereitete das Essen für die Nacht vor, damit es nachts 
nur noch hergerichtet werden kann. Es war spät und der kleine Shakir legte sich schlafen. Er darf endlich seinen ersten Tag Ramadan fasten
und er freute sich sehr. Voller Tatendrang kuschelte er sich fröhlich in seine Decke. 

Am nächsten Morgen weckte mich das Morgenlicht auf. Ich realisierte, dass ein neuer Tag angebrochen war. 
Ich stand auf und lief direkt zu meiner Mama. Mit Tränen in den Augen fragte ich sie, warum sie mich nicht geweckt hat. 
Sie nahm mich in den Arm und beruhigte mich, dass ich doch noch so viel Zeit hätte, um zu fasten und dass ich noch
viel zu jung sei. 

Ich erwirderte heulend: "Nein...nein... ich bin auch groß - ich will auch mit euch fasten!" 

Ich fühlte mich so einsam. Ich fühlte mich nicht dazugehörig. Ich war in meiner Familie ein Außenseiter. Einer, 
der nicht am fasten ist. Den ganzen Tag musste ich mir von meinen Geschwistern anhören, dass ich ja nicht
am Fasten sei und machten Witze über mich: "Shakir fastet ja nachts!" Ich fand das gar nicht lustig. 

Als Abends alle gespannt auf die Uhr schielten, sah ich meine Mutter, wie sie die leckere Harira in die Schüssel gab. 
Wie sie die leckere Torte zurecht geschnitten hat und die Dattelpackung öffnete. Aus der Teekanne roch es 
nach frischem Na3na3. Ein Schlaraffenland.... "Danke Allah (swt), dachte ich nur!" 

Von hinten hörte ich meinen Bruder sagen: "Wir können essen....!" 

Und alle kamen zusammen. Jeder suchte sich seinen Platz und der kleine Shakir dazwischen. Auch ich musste mir
schließlich einen guten Platz sichern. Und da war er schon wieder - der gemeine Satz: "Wieso drängelst du so? Du hast
doch gar nicht gefastet." Meine Mama nahm mich dann in Schutz, man solle mich in Ruhe lassen. 

Da saßen wir nun alle in der Küche. Meine Familie.... - meine große Familie. 
Diese Geborgenheit ist unbeschreiblich. 
Diese Verbundenheit einmalig. 
Diese Liebe grenzenlos. 
Alle freuten sich und lachten. 

Es klingelte an der Tür und ich spurtete sofort dahin. 

"Mama - es ist Onkel Hadsch!" 

Onkel Hadsch lebte in Deutschland allein. Seine Frau lebte mit den Kindern noch in Marokko und so besuchte er uns fast jeden Tag
im Ramadan. Wir freuten uns jedes Mal, wenn er kam und vermissten ihn, wenn er mal nicht kam. Ich vermisste ihn ganz besonders, 
denn er brachte mir jedes Mal Schokolade mit. 

Als sich Onkel Hadsch zu uns gesellte, verteilte meine Mutter die Schüssel mit der noch kochend heißen Harira. Ich bekam immer meine Schüssel. 
Eine kleine hellblaue Schüssel, die meinem Alter entsprechend war. Ja - diese Schüssel gehörte mir. Mir ganz allein. Mein Besitz! Und
wehe, es bekam sie ein anderer. 

Das Fastenbrechen starteten wir mit einer Dattel und das Gerede über die Qualität began. Mir war es egal - es schmeckte süß und das
reichte mir. Mit meiner Schwester hatte ich immer einen kleinen Kampf. Wer von uns die meisten Fleischstückchen in seiner Suppe fand,
der hatte gewonnen. Und das Geschrei war groß, wenn ich gar keins gefunden habe.

Es wurde gegessen, geredet und gelacht und saßen lange zusammen, bevor es dann ans Gebet ging. 

Nach dem Gebet sagte ich dann leise zu meiner Mama: "Morgen faste ich aber mit!" 
Und am nächsten Tag durfte ich mich wie ein Erwachsener fühlen und habe allen stolz verkündet, dass ich auch faste. 

Heute - sehr viele Jahre später wird es diese Familienkonstellation nie mehr geben, auch wenn ich nun der Onkel bin,
der seine Nichten und Neffen mit Schokolade erfreut. Auch wenn ich heute kein Familienmensch bin, 
so würde ich gerne nocheinmal dieses Familienleben so intensiv erleben.
Nocheinmal die Fleischstückchen in der Harira zählen. Noch einmal meinem Onkel die Tür öffnen..... noch einmal..... 

Aber die Erinnerungen, die bleiben....

Und so hat es sich ergeben, dass mir letztens meine Mutter lachend die kleine bläuliche Schüssel gezeigt hat, die mein Besitz war. 
Der Anstoss für mich, um meine Erinnerungen an den Ramadan aus meiner Kindheit hier niederzuschreiben.
Heute bevorzuge ich allerdings die größeren Schüssel. Dafür faste ich auch den ganzen Monat. 

Denn damals - muss ich gestehen, blieb es nur bei diesem einen Tag! Schließlich sah ich es auch so:
Ich war viel zu jung für das Fasten. Es sollten ruhig die Erwachsenen hungern, während ich weiterhin
Schokolade futtern konnte. 

In diesem Sinne - noch einen gesegneten, familiären Restramadan. 
Und denkt dran - die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. 



Geschrieben Ramadan 2007 
Gruß
Shakir



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Ramadan - ein Kind erzählt - von whatshername61 - 27.06.2018, 17:15
RE: Ramadan - ein Kind erzählt - von SabineZ - 22.04.2020, 10:49
RE: Ramadan - ein Kind erzählt - von FouadF - 22.04.2020, 18:07
RE: Ramadan - ein Kind erzählt - von Maghribi - 11.03.2024, 17:44

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