Liebe und Zärtlichkeit in Nordafrika
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Ob Kondomkauf oder Sextourismus: "Lets Talk About Sex, Habibi" von Mohamed Amjahid blickt in Nordafrikas Schlafzimmer......

«Let’s talk about Sex, Habibi» - Liebe, Sex und Zärtlichkeit in Nordafrika: Ein Buch klärt auf


Liebe, Sex und Zärtlichkeit in Nordafrika: Ein Buch klärt auf

Ein ungetrübter Blick in die Schlafzimmer Nordafrikas: Autor Mohamed Amjahid legt mit seinem Buch «Let’s Talk About Sex, Habibi» den Finger dahin, wo es wehtut – und lustvoll ist.

Autor: Anna Jungen


Das Buch beginnt mit Safer Sex. Mit den persönlichen Erfahrungen des Autors beim Kondomkauf zum Beispiel in Tunis, in Kairo oder im westalgerischen Oran. Dazu muss man wissen, dass in Nordafrika Apotheken häufig von streng gläubigen Muslimen geführt werden.

Nicht unbedingt ein Ort, an dem man gerne Kondome kauft.

«Da rein zu spazieren und nach Kondomen zu fragen, kann sehr unangenehm sein. Aber auch überraschend lustig und häufig anders, als man es erwarten würde», so Journalist Mohamed Amjahid.
Mohamed Amjahid
Box aufklappen

Die verschiedenen Kondomkauf-Anekdoten zeigen: Straft einen der eine Apotheker mit verurteilendem Blick und inquisitorischen Fragen ab, entpuppt sich der nächste Apotheker als begeisterter Kondomverkäufer, der einem gleich noch das passende Gleitgel andrehen will.
«Sex in Nordafrika ist ein vielschichtiges Thema»

Diese Vielfalt an Erfahrungen ist exemplarisch für das Buch «Let’s Talk About Sex, Habibi – Liebe und Begehren von Casablanca bis Kairo». Und sie versöhnen einen mit dem fast anmassenden Untertitel. Schliesslich liegen zwischen Casablanca und Kairo beinahe 4000 Kilometer.

«Sex in Nordafrika ist ein dermassen vielschichtiges Thema, dass eine Betrachtung, die Anspruch auf Vollständigkeit erheben würde, so etwas wie ein schlecht vorgetäuschter Orgasmus wäre», schreibt der Autor in seinem Buch. Mohamed Amjahid hat einen grossen Teil seiner Kindheit und Jugend in Marokko verbracht. Hier hat er festgestellt, dass es in Europa nur wenig Wissen über die Region gebe, dafür umso mehr Vorurteile und Projektionen.
Sexpositivität trifft Prüderie

So liest sich sein Buch wie ein punktueller Reality-Check. Es ist eine Sammlung aus eigenen Erfahrungen, Porträts und Reportagen. «Eine Art Panorama, das in der Gesamtschau wenig Sinn ergibt», so Amjahid. Denn es existiere alles nebeneinander: «Sexpositivität und Freizügigkeit, Körperfeindlichkeit und Unterdrückung.»
Mohamed Amjahid – Liebe, Sex und Tabus in Nordafrika

Das ist das Faszinierende an dem Buch. Es gewährt einen tiefen Einblick. Man bekommt diese Freizügigkeit (Stichwort: Orgien am Fusse des Atlas) und das Savoir-vivre von vermeintlich geschlossenen und konservativen Gesellschaften ungeschminkt serviert. Ebenso feministische und queere Befreiungskämpfe. Und ziemlich viel Situationskomik … Sex halt.
Schonungslos ehrlich statt klischeebehaftet

Gleichzeitig ist das Buch immer wieder düster und erschreckend. Etwa, wenn es um Gewalt geht, um gesellschaftlichen Druck und Patriarchat. «Ich wollte weder beschönigen noch romantisieren. Alles soll auf den Tisch. Aber ohne kulturalisierende Klischees», so Amjahid.

Als Beispiel nennt er die berüchtigte Queerfeindlichkeit des ägyptischen Regimes. «Homosexuelle Menschen bezahlen das im schlimmsten Fall mit ihrem Leben. Im Westen heisst es dann schnell, das sei wegen ‹des Islams›. Diese Erklärung ist extrem verkürzt, zumal sich das ägyptische Militärregime als absolut säkular versteht.»

Das Buch ist voll von solchen Aha-Erlebnissen.
Transgendermedizin aus Casablanca

Die wenigsten dürften zudem wissen, dass in Casablanca Ende der 1970er-Jahre wichtige Grundlagen in der Transgendermedizin gelegt wurden.

Ein Pariser Gericht verurteilte den Chirurgen und Gynäkologen Georges Burou, weil er Abtreibungen durchgeführt hatte und für Transmenschen Hormontherapien und geschlechtsangleichende Operationen durchführte. Er floh daraufhin nach Casablanca. Dort fand er die nötige Freiheit, um in dem Bereich weiterzuarbeiten und zu forschen.
Erst Streit, dann Analsex

Manche Geschichten in Amjahids Buch wirken verstörend. Zum Beispiel eine Szene auf einem Pausenplatz in Marokko: Zwei Jungs prügeln sich, der eine ruft: «Wenn du verlierst, darf ich dich *****.» Das ist wörtlich gemeint. Analsex als Bestrafung für den Verlierer, als Belohnung für den Gewinner. In der geschilderten Szene einigen sich die Jungs dann darauf, dass die Strafe in einen Blowjob umgewandelt wird.

Trotzdem: Analsex und Blowjobs in Ehren, als Leserin ist man einigermassen irritiert. Auch, weil der Autor auf jeglichen Kommentar oder Einordnung verzichtet. «Die Szene spricht für sich. Die Wucht darzustellen, ist stark genug.»
Mohamed Amjahid blickt in die Kamera.
Legende: «Ich wollte weder beschönigen noch romantisieren. Alles soll auf den Tisch», sagt Mohamed Amjahid über sein Buch. Mohamed Amjahid

So bleibt man stellenweise etwas ratlos zurück. Ist das nun einfach eine Geschichte, wie sie überall auf der Welt vorkommen könnte? Ist sie typisch für diese Schule? Typisch für die Region?
Sextourismus – aber keiner sieht hin

Das Buch «Let’s Talk About Sex, Habibi» streift das weite Feld der Liebe und Sexualität: von Feminismus bis zur toxischen Männlichkeit. Zu Letzterem gibt es ein Kapitel, das besonders schwer zu verdauen ist.

Es geht um pädokriminellen Sextourismus in Städten wie Agadir, Marrakesch oder Scharm El-Scheich. «Männer aus den Golfstaaten, vor allem aber auch aus Europa, aus Deutschland, der Schweiz oder Grossbritannien fahren dahin und vergehen sich an Minderjährigen.»

Es ist eine Geschichte der Gewalt, die sich tagtäglich abspielt. «Alle wissen es, und keiner tut etwas dagegen. Weder die Regierungen in Europa, noch die Regierungen vor Ort», erzählt Amjahid.

Seit dem Tsunami 2004 in Südostasien hat der pädokriminelle Sextourismus in Nordafrika zugenommen: «Als es monatelang nicht mehr möglich war, nach Thailand zu fliegen, haben Pädophile gemerkt, dass es in Nordafrika auch alles gibt und sogar näher ist.»
Themen zwischen Lust und Schmerz

Das Thema Sextourismus habe in Deutschland viele Reaktionen ausgelöst, so Amjahid: «Viele sind es gewohnt, dass die Sexualität von Nordafrikanern problematisiert wird. Wenn dann jemand die Sexualität von Europäern problematisiert, dann empört sie das. Aber sexualisierte Gewalt ist sexualisierte Gewalt.»

Mohamed Amjahid legt in seinem Buch den Finger dahin, wo es wehtut. Aber auch dahin, wo es lustvoll ist. Er macht deutlich, dass Liebe, Begehren und Sex immer voller Widersprüche, Konflikte und tiefem Glück sind. Und dazwischen sind all die Menschen, die einfach gerne Sex haben.
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